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Presse, August 2017:

Helena Rüegg: „Ich forsche nach Sehnsuchtsorten“

Altdorf (sfd) Seit ihrer Kindheit lebt die Zürcher Musikerin, Schauspielerin und Autorin Helena Rüegg in aller Welt. Kürzlich ist sie für ein besonderes Konzert in ihre alte Heimat zurückgekehrt.°

Porträt

Von Frank von Niederhäusern, SFD

„Nur noch Stehplätze“, rufen die Türsteher in die Reihe der Wartenden. Das Mehrzweckgebäude Winkel in Altdorf ist trotz dichter Bestuhlung innert Kürze gefüllt. Der Andrang zum Sonntag-Nachmittags-Konzert des 10. Alpentöne Festivals ist enorm. Den Veranstaltern steht eine Mischung aus Freude und Überraschung in den Gesichtern. Auf der Bühne des umgenutzten Industriebaus werden zwar zwei im weitesten Sinne Einheimische erwartet: Cellistin Kristina Brunner und Saxofonist Albin Brun, die beide aus dem nahen Luzern stammen und im Gepäck je auch ein Schwizerörgeli haben. Den iranischen Santurspieler Alireza Mortazavi kennen höchstens jene, die ihn am Vorabend schon in Altdorf gehört haben. Und den Namen der Bandleaderin am Bandoneon haben wohl alle erstmals im Programmheft gelesen. Helena Rüegg begrüsst die rappelvolle Halle auf Schweizerdeutsch, doch der leichte Hauch eines Akzentes unterstreicht ihr Bekenntnis: „Ich habe mich gefreut auf diese Rückkehr“.

Beim Anstehen vor der Halle hatte man hören können, was die rund 250 Musikinteressierten an diesem sommerlichen Nachmittag zum Konztertgang bewogen hat. Helena Rüeggs Instrument wird ebensooft genannt wie das Konzept ihres erstmals zu hörenden Quartetts, das Schweizer Volksmusik und Liedgut mit exotischen Instrumenten spielt. Im Konzert wird das Publikumsinteresse belohnt. Rüegg und ihre drei exquisiten Partner siedeln ihre Adaptionen und Kompositionen in Mischbereichen an aus Archaik und Melancholie, Anklang und Exotik, aus Ländler und Tango, Musette und Jazz. Das Vreneli abem Guggisberg schicken sie samt Simes Hans-Joggeli nach Persien. „Chumm, mir wei ga Chriesli gwünne“ erklingt in betörendem Moll, und beim E-Schottisch groovt nicht nur das Cello von Komponistin Brunner.

Worum es diesem eigenwillig aufspielenden Quartett geht, fasst Helena Rüegg in einer Zwischenansage zusammen. „Was ist Ferne, was ist Heimat? Diesen Fragen wollen wir wenn nicht mit Antworten, so doch mit Ahnungen begegnen.“ Sie forsche nach Sehnsuchtsorten, sagt Rüegg auch nach dem Konzert. Die heute 58-jährige Zürcherin ist seit ihrem 3. Lebensjahr Weltbürgerin. Ihre Familie zog damals nach Deutschland, wo Rüegg seither immer wieder lebte. Dazwischen lagen Stationen wie Paris, Rotterdam und natürlich Buenos Aires, wo sie das Bandoneon studierte. „Als Kind war ich oft im Tessin, wo wir unsere Ferien verbrachten“, betont sie aber und hängt in Bezug auf ihren Altdorfer Festivalauftritt an: „Ich habe sehr wohl einen Bezug zu den Alpen.“

Auf den Fahrten ins Tessin habe der Vater jeweils Schweizer Volkslieder gesungen – aus der Sammlung „Röseligarte“. Diese Erinnerungen habe sie zum Projekt „Fernweh“ inspiriert, mit dem sie nach der gelungenen Uraufführung in Altdorf weitere Konzerte geben werde. Der Erfolg ihres Alpentöne-Auftrittes gründet nicht nur in der packenden Musik. Helena Rüegg nimmt ihr Publikum mit auf ihre Klangreisen, die auch Seelenreisen sind. „Ich bin ein Moll-Mensch“, sagt sie etwa und weist darauf hin, dass Bandoneon und Schwizerörgeli nicht gleich gestimmt seien, sich sogar aneinander reiben: „Wir nennen diesen neuen Mischsound Bandörgeli.“

Reibungen, Mischungen und Grabensprünge: Helena Rüeggs Leben war und ist nie geradlinig. „Ich bin ein neugieriger Mensch und finde es langweilig, mich auf Bewährtem auszuruhen“, erklärt sie. So habe sie auch zum Bandoneon gefunden, das in Europa nur selten und meist von Männern gespielt wird. Ursprünglich Schauspielerin mit Engagements an grossen deutschen Bühnen, verspürte Rüegg mit 32 den Wunsch, ihrem Leben eine neue Wendung zu geben. „Also zog ich ans Ende der Welt – nach Buenos Aires.“ Und dort studierte sie das Instrument, das sie bis heute begleitet. Zwar gehört Helena Rüegg verschiedenen hochkarätigen Tango-Ensembles an, improvisiert aber auch, was auf diesem ohnehin schwierigen Instrument nur Wenige wagen. Oder sie spielt Schweizer Volkslieder.

Auf der Bühne sitzt Helena Rüegg mit dem Bandoneon auf den Knien. Hochkonzentriert wirkt sie dabei, doch niemals statisch. Ihre Augen sind in ständigem Kontakt mit ihren Mitmusikern, Spielpausen nutzt sie zu gestischer Untermalung, und zwischen den Stücken steht sie auf, spricht zum Publikum. Diese kreative Unruhe führt dazu, dass Helena Rüegg nicht „nur“ als Musikerin unterwegs ist. Sie schreibt Sachbücher und Romane, arbeitet als Radiojournalistin, gibt Kurse – und besucht selbst welche.

Natürlich habe sie eine Zugabe, versichert sie dem begeisterten Publikum in Altdorf, das seine Zufriedenheit über die Neuentdeckung einer Musikerin, einer irgendwie „Hiesigen“ sogar, frenetisch in den Saal applaudiert. Natürlich habe sie eine Zugabe, und sie werde auch – lässt sie nach dem Konzert wissen – wieder vermehrt in der Schweiz spielen. Nach dem Konzert im Altdorfer Winkel gibt sie noch ein TV-Interview. Dann ist sie weg. Verschwunden. Entflohen. Tags darauf meldet sich Helena Rüegg – per Mail – aus Barcelona. Nach Hause zurück reist sie irgendwann wieder. Ach ja: Zur Zeit ist ihr Zuhause in Südfrankreich.

Helena Rüegg Presse

Der Cellist Stephan Breith und Helena Rüegg am Bandoneon geben ein bemerkenswertes Konzert in der leider nicht vollen evangelischen Kirche in Bleidenstadt.

Von Mathias Gubo, 20.03.2018

BLEIDENSTADT – Stephan Breith ist ehrlich begeistert: Er nennt das Bandoneon von Helena Rüegg „eine kleine Wunderkiste“, was sich gleich zu Beginn des 148. Konzerts der Reihe „Der lange Weg ins 21. Jahrhundert“ in der evangelischen Kirche beweist Bleidenstadt, was ihm anhaftet. Bei der bekannten „Air“ von Johann Sebastian Bach übernimmt der Bandoneon-Virtuose den Part der gesamten Streicher, Breith kann die Soloparts auf seinem Cello spielen.

Bach, von Stephan Breith nur „Johann Sebastian“ genannt, ist es auch, der den beiden Musikern immer wieder Gelegenheit gibt, auf die Wurzeln einer Komposition zu verweisen. Denn für den Cellisten, der diese Konzertreihe vor 18 Jahren ins Leben gerufen hat, ist Bach nicht nur „der größte Mathematiker“, sondern auch der Komponist, auf den sich alle seine Nachfolger immer wieder beziehen. Auch Astor Piazzolla, der Schöpfer des modernen Tangos, dessen Komposition „Oblivion“ zu den Höhepunkten des Konzerts gehört. Als Rüegg darauf hinwies, dass dieses Musikstück sogar in einem James-Bond-Film zu hören sei, antwortete Breith kokett: „Wer ist James Bond?“

Was ist ein Bandoneon? Die Antwort auf diese Frage gibt Helena Rüegg: „Das unlogischste und anarchistischste Instrument“, das man sich vorstellen kann. Ursprünglich wurde es in Karlsfeld im Erzgebirge als „Knappenklavier“ erfunden. Bei Prozessionen übernahm es oft die Funktion einer Orgel.

Es hat zwei Töne pro Taste, je nachdem, ob Sie das Instrument ziehen oder drücken. In den 1920er Jahren war es so beliebt, dass es in Deutschland mehr Bandoneonvereine als Fußballvereine gab, berichtet Rüegg.

Doch während es in Deutschland im Laufe der Zeit an Bedeutung verlor, machte es in Argentinien eine unerwartete und völlig neue Karriere. Die dortigen Tangoensembles erkannten, dass sein Sound und seine musikalischen Möglichkeiten ideal zu ihnen passten. So startete das Bandoneon eine neue Karriere, raus aus den Bordellen von Buenos Aires und hinein in die Konzertsäle der ganzen Welt. Spätestens mit Astor Piazzolla kam es aus seinem Nischendasein heraus.

Kein Wunder, dass sich Helena Rüegg in dieses aussergewöhnliche Instrument verliebt hat. Sie studierte Bandoneon an der Tangoabteilung des Rotterdamer Konservatoriums, in Buenos Aires und in Paris. Danach nahm ihre Weltkarriere Fahrt auf, sie gab Konzerte auf allen großen Bühnen, nahm CDs auf und schrieb das Standardwerk über Tango. Heute lebt Rüegg in Südfrankreich, musiziert aber trotzdem zusammen mit Stephan Breith, der nach seiner Pensionierung nach Schleswig gezogen ist, Bleidenstadt aber weiterhin treu bleibt.

Helena Rüegg sitzt mit dem Bandoneon auf den Knien auf der Bühne. Sie wirkt hochkonzentriert, aber nie statisch. Ihre Augen sind in ständigem Kontakt mit ihren Mitmusikern, sie nutzt Spielpausen zur gestischen Begleitung, zwischen den Stücken steht sie auf und spricht zum Publikum. Diese kreative Unruhe führt dazu, dass Helena Rüegg nicht „nur“ als Musikerin unterwegs ist. Sie schreibt Sachbücher und Romane, arbeitet als Radiojournalistin, gibt Kurse – und besucht selbst welche.

Natürlich gibt es eine Zugabe, versichert sie dem begeisterten Publikum in Altdorf, das frenetisch zufrieden über die Neuentdeckung eines Musikers applaudiert, der irgendwie „einheimisch“ im Saal ist. Natürlich bekommt sie eine Zugabe, und sie wird auch – nach dem Konzert bekannt gegeben – wieder verkauft werdenNatürlich gibt es eine Zugabe, versichert sie dem begeisterten Publikum in Altdorf, das frenetisch vor Freude über die Neuentdeckung eines Musikers applaudiert der irgendwie „lokal“ in der Halle ist. Natürlich gibt es eine Zugabe, und – das lässt sie nach dem Konzert verlauten – sie wird wieder mehr in der Schweiz spielen. Nach dem Konzert im Altdorfer Winkel gibt sie ein TV-Interview. Dann ist sie weg. Verschwunden. Ausgebrochen Am nächsten Tag meldet sich Helena Rüegg – per Mail – aus Barcelona. Irgendwann wird sie wieder nach Hause reisen. Ach ja: Im Moment ist ihr Zuhause in Südfrankreich.